Aachen. Immer noch fahren Autos mit flatternden schwarz-gelben
Schals über das Aachener Kreuz, die Eindrücke der letzten Stunden
stehen den Menschen ins Gesicht geschrieben. Eine bizarre Mischung
aus Freude und Nachdenklichkeit. Das Erlebte steckt man nicht mal
eben weg. Die Schals sind nicht die einzige Staffage an den
Karossen, zahlreiche Bilder von Werner Fuchs - mit Trauerflor und
dem Satz «Danke Werner» - gehören zur Pflichtausstattung. Die Fans
wissen, wem sie den Erfolg verdanken. Doch nun ist Alemannia
tatsächlich wieder zweitklassig. In Erkenschwick zeigt die
Mannschaft wahre Größe.
Stunden vor dem Spiel bewegt sich ein unglaublicher Troß in
Richtung Ruhrgebiet. Allen voran der zehnjährige Tobi mit seiner
Mutter. Er durfte einst ein Spiel neben dem Trainer auf der Bank
sitzen, und jetzt bricht er im Stimberg-Stadion in bittere Tränen
aus. Bereits um 11.30 Uhr sind die beiden mit dem Zug angekommen,
sie sind Fans fürs Leben. Während durch den Erkenschwicker Stadtwald
immer stärker der Aachener Zungenschlag hallt, füllen sich die
Ränge. Robert Jacobs, Sprecher der IG der Fanclubs, kann selbst die
emotionale Gefühlslage kaum in Worte fassen: «Iregndwo zwischen
Trauer und Zuversicht. Mal sehen.»
Im weiten Rund macht sich eine fast gespenstische Stille breit.
Die Fans haben sich verabredet, ihre Kurve zieren schwarze Banner,
nur der Name «Werner Fuchs» sticht in weißen Lettern hervor. Erst
als der Stadionsprecher die Ruhe unterbricht, und freundlich die
rund 7000 Aachener zu «ihrem Heimspiel im Stimberg-Stadion» begrüßt,
keimt zaghaft Applaus auf. Der wird erst lauter, als die beiden
Teams auf den Rasen laufen. Irgendwie müssen die Emotionen raus.
Fotografen scharen sich um André Winkhold, der die Mannschaft durch
den Rest der Saison führt. Das Klicken der Kameras verstummt jäh,
als der Mann am Mikrophon um eine Gedenkminute für Werner Fuchs
bittet. Auch gestandene Mannsbilder können ein kurzes Schluchzen
nicht unterdrücken.
Doch dann verschreibt sich die Fangemeinde ihre eigene Rezeptur,
startet La-Ola-Wellen. Die Stimmung steigt und ist gleichzeitig
Balsam auf die wunden Seelen. Genau wie die Tore. Beim 2:0 wird der
«Alemannia-Walzer» angestimmt, und gleichzeitig gehen Schilder in
die Höhe: «Danke Werner. Wir werden Dich nie vergessen.» Die
seelische Spannung sucht kurz vor Ende des Spiels nach einem
Blitzableiter, die Zäune werden überklettert. Eine kleine Truppe von
gegnerischen Hooligans provoziert die Mitgereisten, Fäuste fliegen,
Chaos droht.
Und kurz bangen die Verantwortlichen um die Früchte des Erfolgs.
Die Polizei prescht massiv dazwischen. Präsident Wilfried Sawalies
rennt wutentbrannt aufs Spielfeld und treibt die Massen zurück
hinter die Seitenlinie. Noch zwei Minuten, dann ertönt der erlösende
Abpfiff. Unglaubliche Szenen spielen sich ab. Menschen jubeln,
hüpfen, weinen, sinken in sich zusammen. Einige stechen sich ein
Stück Meisterrasen ab. Die Spieler sind gefaßt und streifen sich
T-Shirts mit dem Porträt von Werner Fuchs über. Stephan Lämmermann
wird auf den Schultern durchs Rund getragen, zollt dem Wunsch der
Anhänger Tribut und zeigt stolz sein Unterhemd: 16. 5. -
Meister!
Eine hupende Blechlawine durchzieht das Ruhrgebiet und zerstreut
sich erst ab der Heinsberger Gegend. Die Eindrücke bleiben.
Frenetischer Jubel nach dem Sieg gegen Münster, tiefste Trauer am
Dienstag, jetzt die emotionale Ambivalenz. Was für eine Woche!
Hans-Peter Leisten, 18.05.1999 14:03